Interview mit Beat Gerber über Vertrauen

Interview mit Beat Gerber über Vertrauen

Autor

Antje Heimsoeth

Datum

20. Mrz 2019

Kategorien

Beat GerberBeat Gerber (*7.12.1957) pensionierter Senior Anlageberater UBS Switzerland AG, Managing Director, Winterthur (Schweiz). Abgeschlossenes Jurastudium, lic. iur. Universität Zürich. Eidgenössisch diplomierter Finanzanalytiker und Vermögensverwalter CIIA. Zwei Töchter im Alter von 29 und 26 Jahren. Nach dem Jurastudium Banklaufbahn ergriffen. 4 Jahre Auslandaufenthalt in London, damals für Bank Julius Bär (Schweizer Privatbank). Die jüngere Tochter wurde in London geboren. Insgesamt 28 Jahre für UBS gearbeitet in der grenzüberschreitenden Anlageberatung. Holländische Privatkunden betreut seit 1996 und seit 2006 die Superreichen in Holland, die sogenannten Ultra High Net Worth Individuals. Seit 1.1.2019 in Ruhestand. Meine Frau Daniela Gerber führt eine Kinesiologiepraxis in Winterthur.

Was verstehen Sie unter Vertrauen? Woran denken Sie beim Wort „Vertrauen“?
Es geht um eine Beziehung zwischen zwei oder mehreren Personen oder Parteien. Die Beziehung basiert auf Respekt und Fairness. Abmachungen, Versprechungen werden eingehalten. Beide Seiten verhalten sich loyal.

Was beinhaltet Vertrauen?
Ein Loslassen aus Überzeugung. Man kontrolliert nicht, man zweifelt nicht.

Aus welchen Gründen ist Vertrauen so wichtig?
Es ist zu aufwendig, zu kostspielig, alle Abläufe zu kontrollieren.
Beanspruchen von Dienstleistungen setzt Vertrauen voraus. Beispiele: beim Arzt, Anlageberater, Anwalt, Pilot, Koch, Buschauffeur etc.  Ich begebe mich in die Hände eines anderen, da ich nicht alles selbst tun kann oder will.
Auf der Strasse haben wir Vertrauen ins Wohlverhalten der anderen Verkehrsteilnehmer, sonst würden wir uns nicht mehr auf die Strasse getrauen.
Nur diejenigen Dienstleistungen/Dienstleister, die Vertrauen geniessen, haben das Potential, nachhaltig erfolgreich zu sein.

Leben wir in einer Zeit des Vertrauensverlustes?
Ja, es gibt viele Beispiele.
Lehrer: Eltern vertrauen den Lehrern nicht mehr.
Arzt: Viele Patienten suchen eine second opinion.
Bank: Bankkunden sind verunsichert aufgrund von regelmässigen Finanzkrisen und Fehlverhalten von Bankangestellten und der teilweisen Selbstbedienungsmentalität von obersten Führungskräften.
Politik: Bürger nehmen Politiker weniger wahr als Volksvertreter, sondern als Akteure, die mehr an die eigene Wiederwahl denken als an das längerfristige Gemeinwohl.
Strömungen: Aufgrund der Migrationsproblematik entstehen radikale Bewegungen wie die AFD oder die Reichsbürger.

Was ist der Preis von sinkendem Vertrauen? Was sind Konsequenzen und Auswirkungen von sinkendem Vertrauen?
Preis: Um Fehlverhalten von gewissen Branchen masszuregeln respektive im Keim zu ersticken, kreieren zentrale Marktautoritäten komplexe Regulierungen. Beispiel: Dies führt im Finanzbereich dazu, dass grosse Complianceabteilungen aufgebaut werden müssen, welche hohe zusätzliche Personalkosten, jedoch keine Erträge generieren. Das Frontbusiness andererseits wird durch die von Compliance auferlegten Kontrollprozesse zeitlich so absorbiert, dass die Nettozeit für das Kerngeschäft reduziert wird, worunter die Erträge leiden.
Diesen Mechanismus kann man wohl auf jeden regulierten Sektor anwenden.

Sinkendes Vertrauen führt zu Kundenverlust. Beispiel: Die Solvenz einer Bank verschlechtert sich (Missmanagement, schlechte Performance, Rechtsfälle etc.), was zu zahlreichen Kontoschliessungen führen, ja im Extremfall zu einem sogenannten „bank run“ führen kann.

Je größer das Vertrauen, umso mehr …
… bin ich (als Führungskraft) bereit, zu delegieren.
… umso reibungsloser können Geschäfte abgewickelt werden.
… umso wohler fühle ich mich.
… umso mehr Business kann zwischen zwei oder mehreren Seiten entstehen.
… umso mehr kann etwas aufgebaut werden.

Wie erkennen Sie, ob Sie jemandem vertrauen können?
Auf diese Person ist Verlass. Beispiele: Pünktlichkeit, Qualität der Arbeit, Auftragstreue, d.h. keine Interpretation des Auftrags nach eigenem Gutdünken.
Diese Person ist verschwiegen. „Ich sage dir das im Vertrauen“.
Diese Person ist loyal, z.B. in der Partnerschaft, im Team.
Diese Person ist ehrlich.

Hat Vertrauen auch mit Kontrolle zu tun?
Grundsätzlich hat Vertrauen mit Kontrolle nichts zu tun, ist eigenständig. Wer vertraut, kontrolliert nicht.
Vor allem im Geschäftsleben wird das Vertrauen oft missbraucht oder ausgenützt und Kontrolle wäre besser gewesen. Deshalb sagt man auch: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

Wodurch wird ein Vertrauensverhältnis zerstört?
Kein Verlass, keine Verschwiegenheit, keine Loyalität, Unehrlichkeit.
Kunden verlieren Vertrauen in eine Firma/Anbieter wegen schlechtem Geschäftsgang, wegen unverständlicher Strategie, wegen unwirtschaftlichem Gebaren der Firmenleitung (Verschwendung von Firmengeld für z.B. exzessive Partys), wegen zweifelhaften oder mangelhaften Produkten, wegen umweltverschmutzender Produktion, kurzum, wegen allen rufschädigenden Machenschaften. 

Wie entsteht Angst in Unternehmen / Teams / Abteilungen?
Ausblick: Der Geschäftsausblick verdüstert sich.
Gerüchte: Die Gerüchteküche brodelt, z.B. dass Abbaupläne bestünden und die Gerüchte vom Management nicht dementiert werden.
Wandel: Durch Schwarzsehen, dass die Digitalisierung oder die Industrialisierung 4.0 den eigenen Arbeitsplatz überflüssig mache, dass man mit der rasanten Entwicklung nicht mehr Schritt halten könne, dass das Management erforderliche Neuerungen verschläft.
Ziele: Durch extrem hohe Zielsetzungen, welche bei allen Ambitionen unerreichbar scheinen.
Fehlerkultur: Wenn Zerotolerance herrscht und jeder Fehler bonusrelevant ist, d.h. den Bonus verringert. Dass man allenfalls auf eine schwarze Liste gesetzt wird.
Schuldzuweisungen: Wenn eine Kultur des Fingerzeigens herrscht.
Fusionen: Management plant ein Zusammengehen mit einer anderen Firma, was bei Doppelspurigkeiten zu Stellenabbau führt.

Wenn wir von einem „Vertrauenskonto“ ausgehen, wie kann jemand bei Ihnen von diesem abbuchen?
Wenn ich mich auf diese Person nicht mehr verlassen kann, sie indiskret ist, illoyal oder unehrlich.

Wie wird vom „Vertrauenskonto“ bei Mitarbeitern abgebucht? Durch was schwindet Vertrauen bei Mitarbeitern?

  • Wenn Versprechungen nicht eingehalten werden, wie z.B. Beförderungen, Lohnerhöhungen. Wenn es zu Lohnausfällen kommt.
  • Wenn nicht klar kommuniziert wird oder man auf Umwegen (Latrinenweg) wichtige Informationen erhält oder Änderungen zuerst aus den Medien erfährt.
  • Wenn regelmässig nicht alle Teammitglieder, sondern nur ein paar „Privilegierte“ informiert werden und letztere damit einen Informationsvorsprung geniessen gegenüber den Kollegen und Kolleginnen.
  • Wenn die Jahresbeurteilung parteiisch und unfair ist und gewisse Teammitglieder besser behandelt werden als der Rest (Bevorteilung).
  • Wenn die Geschäftsstrategie von den Mitarbeitern nicht mehr nachvollzogen werden kann.
  • Wegen häufigem Chefwechsel.
  • Wegen rufschädigenden Machenschaften des Arbeitgebers.

Wenn wir von einem „Vertrauenskonto“ ausgehen, wie kann jemand bei Ihnen „einzahlen“?
Wenn dieser Jemand immer wieder Vertrauensbeweise durch sein Verhalten erbringt, z.B. durch Verlässlichkeit, Verschwiegenheit, Loyalität, Ehrlichkeit.

Wie gewinnt man zerbrochenes Vertrauen zurück?
„Vertrauen ist wie ein Blatt Papier: Einmal zerknüllt, wird es nie wieder perfekt sein.“
Zu optimieren versuchen: Immer wieder Vertrauensbeweise erbringen. Es braucht lange, um Vertrauen aufzubauen, aber schnell ist es zerstört.

Welche Tipps geben Sie meinen Lesern, um Vertrauen wieder herzustellen?
Alles vorleben, was man von seinen Mitarbeitern erwartet.
Konstant und kontinuierlich Vertrauensbeweise erbringen.

Vielen herzlichen Dank!
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Das Buch „Vertrauen entscheidet: Die vergessene Basis der Führung“ erscheint im Spätsommer 2019 im HAUFE Verlag.

1 Kommentar

  1. Liebe Frau Heimsoeth,
    ein wunderbarer Artikel- Ich bin bereits Rentnerin, aber das was hier beschrieben wird, betrifft nicht nur das Arbeitsleben, sondern auch das Private. Es werden leider in der letzten Zeit viele Werte mit den Füssen getreten, was ich sehr traurig finde.
    Es ist nicht nur das Vertrauen, sondern auch die kleinen Geesten, wie z. B. nur die Wörter Bitte und Danke. Schade.
    Ich bin jedoch nicht bereit auf diese Sachen zu verzichten, da ich bis heute damit immer gut gefahren bin mit Vertraue Respekt, Danke und Bitte etc

    Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg, und verbleibe
    mit freundlichen Grüßen

    Erika Heise

    Antworten

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