Auch wenn die deutschen Handballer bei der WM 2019 nur den ungeliebten vierten Platz machten, bewiesen sie während des Turniers überragend Teamgeist, Spielfreude und Leistungswille. Die Mannschaft hängte sich rein, ließ sich auch von der knappen Niederlage gegen Russland im Halbfinale nicht entmutigen und schwor sich immer wieder aufs Neue am Spielfeldrand ein. Bundestrainer Christian Prokop war es nach zwölf Jahren ohne WM-Teilnahme gelungen, die Spieler bis in die Endrunde des Turniers zu bringen. Nach der Niederlage gegen Frankreich im Spiel um den 3. Platz sagte er: „Es hat Spaß gemacht mit dieser Mannschaft hier durchzugehen, auch jetzt nach so einer bitteren Niederlage. (…) Eine wichtige Erkenntnis ist, dass wir uns auf die Zukunft freuen können. Es macht Laune mit diesem Team zu arbeiten, jeder hängt sich rein. Wir werden immer über den Teamgeist kommen…“ (dhb.de). Dass sich jeder reinhängt, ist dort, wo es auf die Performance von Teams ankommt, längst nicht selbstverständlich. Zu groß sind oft die Befindlichkeiten des Einzelnen und das Verfolgen eigener Interessen. Teamgeist wird oft beschworen, aber leider noch zu selten gelebt. Dabei ließen sich bei dieser WM knapp 12 Millionen Zuschauer von der deutschen Handballmannschaft begeistern, die positive Stimmung zog sich durchs ganze Land. Nehmen wir doch den gelebten Spirit dieser Januarwochen als Blaupause für unser Miteinander jenseits der Sporthallen. Von dem Führungsverhalten, dass der 40-jährige Prokop an den Tag legt, können sich Manager in Unternehmen durchaus inspirieren lassen.
Schlüsselfaktor Kommunikation
Nach dem vorangegangenen Scheitern bei der EM 2018, bei der Trainer Christian Prokop oft verbissen wirkte, wurden die Weichen auf Neuanfang gestellt. Während einer Japan-Reise im vergangenen Sommer wurde „viel aus dem Weg geräumt, denn wir hatten nach der EM in Kroatien eine schlechte Situation“, so berichtete Patrick Wiencek, Handballer des Jahres (OVB, 17.1.2019, S. 19). Jetzt sei die Stimmung so gut wie noch nie. Ein offener Austausch, ein klares Benennen von Bedürfnissen und Verbesserungsbedarf, Einigung über gemeinsame Ziele und Einschwören als Einheit – all das sind Komponenten einer erfolgreichen Führungs- und Teamperformance. Führung ist Beziehungsarbeit. Wer unter Führen nur das Prinzip „Ich der Chef, du der Befehlsempfänger“ versteht, wird vieles ernten – nur keine Motivation. Die Beziehung zum Mitarbeiter ist die Basis für eine erfolgreiche, motivierende Zusammenarbeit. Prokop hat Zeit in die Beziehungsarbeit investiert und damit einen neuen Mannschaftsgeist geweckt.
Schlüsselfaktor Beteiligung
Transparenz von Entscheidungen und Vorgehensweisen sind Mitarbeitern ebenso wichtig wie eigenverantwortliches Handeln und Mitsprache. Prokop wusste dies geschickt zu berücksichtigen. Das bescheinigte ihm auch sein Vorgänger, der ehemalige Handball-Bundestrainer und WM-Gewinner 2007: „Er wirkt sehr konzentriert, kooperiert mit den Spielern und lässt sie auch mal eigene Entscheidungen treffen. Die Mannschaft hat Vertrauen zu ihm und macht einen sehr geschlossenen Eindruck.“ (OVB, 17.1.2019, S. 19). Jeder wünscht sich Dialog- und Kooperationsbereitschaft von Kollegen und Vorgesetzten. Wir wollen wissen, dass unsere Meinung Gewicht hat und in Entscheidungen einbezogen werden. Eine funktionierende Beziehung lebt von gemeinsamen Zielen, die als gemeinschaftliche Aufgabe betrachtet werden und davon, sich Freiräume zur Weiterentwicklung zu lassen.
Schlüsselfaktor Fokus
Die deutsche Handballmannschaft schaffte es nicht bis ins Finale. Möglicherweise mangelte es in der entscheidenden Turnierphase am Fokus. Vielleicht waren die Spieler mehr darauf fokussiert, nicht zu verlieren als darauf, einfach im Rahmen der taktischen Möglichkeiten zu spielen. Während das Team in der Vorrunde noch offenkundig auf gutes und taktisches Spielen fokussiert war, stand im Halbfinale der Wunsch, nicht zu verlieren, im Vordergrund. Viele Menschen ‒ Mitarbeiter, Führungskräfte und Sportler ‒sind in extremen Drucksituationen oftmals bewusst oder unbewusst auf „Nicht verlieren“ fokussiert statt auf „Ich gebe mein Bestes“, was immer das in der konkreten Situation heißt. Eine korrekte Zielformulierung, die eine Direktive für die Handlungs- und Verhaltensebene darstellt, ist ein entscheidender Erfolgsfaktor. „Nicht verlieren“ hemmt, mehr noch: Es leistet einer selbsterfüllenden Prophezeiung Vorschub. Bestimmtheit und Durchsetzungskraft generiert ein Team aus der „richtigen Programmierung“ im Kopf, die den Fokus ausrichtet und durchweg steuert.
Schlüsselfaktor Würdigung
Am Ende des Turniers waren sich die Spieler in einem Punkt gewiss einig: Es ist bitter, am Ende so zu verlieren. Dennoch fiel auf, wie sehr Team wie Trainer die Gesamtleistung während des Turniers trotz Niederlage würdigten und sich nicht ins Jammertal verabschiedeten. Nationalspieler Uwe Gensheimer sagte: „Es tut weh, dass wir die letzten beiden Spiele verloren haben. Aber trotzdem muss uns bewusst sein, was wir für ein tolles Turnier gespielt haben, wie wir alles gegeben haben. Wir haben es mit den Fans geschafft, unter die besten vier Teams zu kommen.“ (dhb.de). Und auch Andreas Wolff bestätigte: „Wir sind stolz auf die Mannschaft und was wir erreichen konnten. Wir sind unter den besten vier Mannschaften der Welt.“ (dhb.de). Diese Sichtweise teilte auch Bundestrainer Christian Prokop: „Es überwiegt trotzdem der Stolz. Es waren viele intensive Eindrücke während der WM, die richtig Spaß gemacht hat.“ (dhb.de). Die Freude und Zufriedenheit in der Arbeit, sowohl auf Seiten der Führung als auch beim Team, ist entscheidend für den Erfolg – ob auf dem Handballfeld oder im Unternehmen. Gute Leistungen zu würdigen, ist wichtig. Es wäre fatal, jetzt nur zu bedauern, was nicht geklappt hat und dem erfolgreichen Weg bis zum immerhin vierten Platz keine Beachtung mehr zu schenken. Die Nachbearbeitung eines Erfolgs ist ebenso wichtig wie die eines Misserfolgs. Unmittelbar nach erlebtem Erfolg gilt es, die positive Erfahrung mental zu speichern. Führungskräfte können für sich und ihr Team ein Ritual installieren, dass sie regelmäßig nach gemeinsam erbrachten Erfolgen zelebrieren – und sich an diese Erfolge auch im Moment der größten Niederlage erinnern und daraus Zuversicht für die Zukunft schöpfen.
Ich jedenfalls bin diesem Handballteam und seinem Trainer dankbar – für ein tolles Turnier mit spannenden Spielen, für tolles Kämpfen und tollen Teamgeist, für ihren Zusammenhalt und ihre Leistungsbereitschaft. Es ist noch ein junges Team. Ich bin sicher, wir werden uns wieder an seiner Performance erfreuen können, z. B. bei der EM 2020 in Österreich, Schweden und Norwegen. Und vielleicht pflanzt sich der Teamgeist von 2019 ja auch in den Fluren und Hallen deutscher Unternehmen fort. Das wäre der schönste Erfolg.
© Ihre Antje Heimsoeth
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