Das Streben nach Gold –
Aus welchen Gründen der Druck bei den Olympischen Spielen lähmen kann

Antje Heimsoeth - Das Streben nach Gold – Aus welchen Gründen der Druck bei den Olympischen Spielen lähmen kann

Autor

Antje Heimsoeth

Datum

04. Aug 2016

Kategorien

MENTALE STÄRKE / ANTJE HEIMSOETH – Hartes Training, jahrelange Vorbereitungen und das alles für den großen Traum: Teilnahme an den Olympischen Spielen! Die meisten Sportler träumen seit Kindertagen davon, einmal bei den Olympischen Spielen anzutreten. Es ist DER Wettkampf schlechthin und wird von der Weltöffentlichkeit gespannt verfolgt. Klar, dass der Leistungsdruck für die Sportler und Trainer in solchen Situationen immens ist. „Jetzt kommt es drauf an. Jetzt muss es klappen!“ Mit dem Druck umzugehen ist sicher eine der größten Herausforderungen. Nicht selten machen die Nerven auch erfahrenen Sportlern einen Strich durch die Rechnung. Sie können ihre Leistung nicht wie gewohnt abrufen, machen Patzer und/oder verkrampfen sich.
Aus welchen Gründen der Druck bei Olympischen Spielen lähmen kann und wie Sportler lernen damit umzugehen, erklärt Expertin Antje Heimsoeth. Sie ist Mental Coach, „die renommierteste Motivationstrainerin Deutschlands“ (FOCUS), Bestsellerautorin und coacht Spitzensportler, Teams, Bundestrainer, Manager und Vorstände.

Frau Heimsoeth, Sportler müssen immer Topleistungen liefern. Ist da Druck nicht etwas Normales?

Jeder Sportler, der in einen Wettkampf geht, stellt sich einer neuen Herausforderung und begibt sich in eine Situation, die ihn an seine Leistungsgrenze führt. Besonders wenn der Sportler sich, wie für Olympia, monate-, ja jahrelang auf diesen Moment vorbereitet hat, entsteht natürlich Druck, diese Herausforderung an der Leistungsgrenze, für die er/sie so lange trainiert hat, auch bewältigen zu können. Aber jeder Sportler ist anders und geht unterschiedlich mit diesem Druck um. Auch die Rahmenbedingungen eines Wettkampfs sind individuell und können unterschiedliche Drucksituationen erzeugen. Der Druck, Topleistungen abrufen zu müssen, ist nie etwas „Normales“, sondern ist eine individuelle Herausforderung für jede Sportlerin und jeden Sportler.

Der Druck bei Olympia kann auch erfahrene Sportler regelrecht lähmen, oder?

Der Druck, jetzt in diesem Moment, in diesem Wettkampf, eine Topleistung bringen zu müssen, kann auch erfahrene Sportlerinnen und Sportler in ihrer Leistungsfähigkeit einschränken und sogar lähmen. Nervosität, Anspannung, schnellere Atmung und erhöhte Pulsfrequenz, Magenkrämpfe und Übelkeit, Verkrampfung der Muskulatur, Selbstzweifel und weiche Knie, Versagensängste und die Angst vor dem Gewinnen müssen – jeder Leistungssportler kennt diese Symptome, die direkt vor einem schwierigen Wettkampf die Leistungsfähigkeit negativ beeinflussen können.

Leistungssportler sind im Rahmen ihrer athletischen, technischen und taktischen Fähigkeiten meist optimal vorbereitet und körperlich topfit. Wenn ihre mentalen Fähigkeiten aber nicht ausgebildet sind und sie nicht wissen, wie sie mental diesen individuellen, persönlichen Druck in etwas Positives umwandeln können, dann kann der Druck auch erfahrene Sportler regelrecht in ihrer Leistung lähmen. Mindestens 50 Prozent des Erfolgs sind mental bedingt, sind sich fast alle Trainer und Sportler einig. Ein Großteil der Sportler verwendet aber kaum 5 Prozent der Trainingszeit auf die Verbesserung der mentalen Fähigkeiten.

Wie können die Teilnehmer den Druck in etwas Positives umwandeln?

Die Veränderung findet im Kopf statt. Es ist u.a. die Macht der Gedanken, die über Misserfolg und Erfolg entscheidet. Gedanken bewirken Reaktionen im Körper (Atmung, Muskeltonus, Zittern) und können, je nach positiver oder negativer innerer Einstellung, den Sportler verkrampfen oder entspannen lassen.
Wenn sich der Sportler vor dem Wettkampf ständig Gedanken über seine Nervosität oder seine Angst vor dem Versagen macht und er wegen des hohen Drucks in der Nacht vor dem Wettkampf kaum richtig schlafen kann, weil seine negativen Gedanken ihn sogar am Einschlafen hindern, dann wird ihn diese negative Einstellung auch im Wettkampf lähmen.

Es gibt unterschiedliche Techniken, mit denen der negative Druck in etwas Positives verwandelt werden kann:

Wolfgang Mader, österreichischer Extremsportler, nahm sich Anleihe an der Physik. Entsteht irgendwo physikalisch ein Druck, so muss man, will man diesen reduzieren oder gar beseitigen, eine Ausgleichsmöglichkeit (Ausgleichsventil) erzeugen. Beim Kochtopf ist das das Ventil am Deckel, bei einem Blutgerinselüberdruck im Kopf muss man ein Loch bohren, damit der Überdruck entweichen kann. Schaffen Sie sich bei Druck und Stress sofort eine Ausgleichtätigkeit, um diesem Druck ein Entweichen zu ermöglichen. Das kann sein: Sport, Sauna, Musik, etc. …. Stehe ich unter einem psychischen (geistigen) Druck, muss der Ausgleich ebenfalls psychischer (geistiger) Natur sein und ich brauche keine körperliche Ruhe; stehe ich unter einem körperlichen Druck, muss der Ausgleich ein körperlicher sein (eben Ruhe, Entspannung);

Über die mentale Technik des Selbstgesprächs (Affirmationen) kann der Sportler Einfluss auf seine innere Einstellung nehmen. Aber man muss natürlich auch erst einmal lernen, wie man seine eigene innere Stimme hört und reflektieren kann. Was sagt mir meine innere Stimme? Wie bin ich eingestellt?

Auch die Macht der inneren Bilder kann entscheidend für einen Erfolg sein. Wenn ich mir vor dem Wettkampf immer wieder in meinem Kopf die Bilder ablaufen lasse, wie ich den Wettkampf morgen gewinne und auf dem Siegertreppchen stehe, dann gewinne ich an eigenem Selbstbewusstsein und verdränge die Angst vor dem Versagen.

Das sind relativ einfache Techniken, für die ein Sportler keinen großen Aufwand betreiben muss.
Er muss nur wissen, wie es geht, dran glauben und es tun.

Wie schaffen es Sportler, trotz des Trubels (Lärm, Publikum, Kameras) gelassen zu bleiben?

Auch das hat wieder mit mentaler und emotionaler Stärke zu tun. Letztlich geht es darum als Sportler im entscheidenden Moment im ‘Flow’ zu sein. Als Flow im Leistungssport versteht man den halb unterbewussten Zustand, in dem sich der Sportler im Wettkampf befindet, und im dem alles perfekt läuft und er alles um sich herum vergisst.

Ein mental starker Sportler schafft es, seine Gedanken so zu programmieren, dass er sich rein auf den Sport konzentrieren kann. Indem der Sportler seine Gedanken positiv, optimistisch, zuversichtlich, gewinnorientiert und kraftvoll nur auf den Sport fokussiert, nimmt er die „Nebengeräusche“ des Wettkampfs daher gar nicht mehr wahr.
Er ist sich seiner Ziele bewusst.
Nutzt innere Bilder (imaginäre Ohropax, Motorradhelm, Glaskugel), um sich abzuschotten.

Was kann der Trainer tun, wenn er beim Sportler merkt, da stimmt was nicht?

Das Verhalten des Trainers kann eine entscheidende Auswirkung auf die Leistung des Sportlers haben. Wenn es beim Sportler nicht läuft und er schlechte Leistungen abruft, dann löst das beim Trainer vermutlich Ärger aus, denn auch der Trainer hat in die Vorbereitung sehr viel investiert. Schlechte Leistungen erzeugen also negative Emotionen beim Trainer. Je mehr Raum der Trainer aber diesen negativen Gefühlen einräumt, umso eingeschränkter wird er in seinen Reaktions- und Handlungsmöglichkeiten. Viel schlimmer noch: Der Ärger des Trainers überträgt sich mit seiner negativen Energie auf den Sportler! Je ruhiger und gelassener der Trainer selbst mit Drucksituationen umgeht, desto mehr Souveränität bewahrt auch der Sportler.

Eine angemessene Unterstützung des Sportlers wäre möglich durch: Konzentration auf die Problemlösung, Emotionsregulation (Entspannung durch bewusste, tiefe Bauchatmung), Beschränkung der Anweisung in den Wettkampfpausen auf zwei bis drei kurze Instruktionen (möglichst bildhaft oder visuell unterstützt), ermutigende, motivierende, unterstützende und stärkende Kommunikation (abfällige Bemerkungen und Gesten sind tabu!) und Fokussierung auf die Stärken (nicht auf die Schwächen!).

Ich wünsche mir, dass insbesondere mehr unserer deutschen Sportler und Trainer professionell mit Mental-Training arbeiten, um in Rio zuschlagen zu können.

Quelle:
Heimsoeth, Antje (2015): Sportmentaltraining. Mit einem Vorwort von Oliver Kahn. Pietsch, 2015.

© Antje Heimsoeth

2 Kommentare

  1. Guten Morgen,
    ein sehr schöner Artikel. Es wird gut beschrieben, wie wichtig die mentale Fitness ist. Meine Erfahrung ist, dass diese mentale Fitness auch im ganz normalen Berufsalltag wichtig ist, um die Herausforderungen im Beruf bewältigen zu können. Wir haben in unserer modernen Arbeitswelt noch nicht verstanden, dass wir für unsere Leistungsfähigkeit viel tun können und auch müssen.
    Ich lese Ihre Beiträge richtig gerne, da spricht eine Fachfrau.

    Herzliche Grüße
    Brigitte Hettenkofer

    Antworten
  2. Guten Morgen,
    auch von mir ein ganz herzliches Dankeschön für diesen erhellenden Artikel.
    Für mich als ehemalige Leistungsschwimmerin in Kinder- und Jugendtagen ist es wichtig zu erkennen, wie sehr mich diese Zeit sportlich, körperlich und psychisch geprägt hat. Jetzt in der Lebensmitte bin ich mit der Herausforderung von Arbeitssuche samt Existenzbedrohung konfrontiert. Das bringt mich psychsich, emotional und körperlich so richtig an meine Grenzen. Mit den ganz normalen fachlichen Hinweisen, Empfehlungen oder Ansätzen zum Lösungen finden zu dieser derzeit sehr unbefriedigenden Lebenssituation komme ich nicht wirklich weiter. Mein Leistungswille ist derart stark ausgeprägt, dass ich den automatisch auch auf Bereiche fokussiere, wo zuviel Druck mehr schadet als er nützt. Auch das hat kostbare Lebenszeit gekostet, wie ich immer mehr feststelle. Umso mehr erhellen mich Ihre Beschreibungen, was Sportler brauchen, wie sie ticken und wie die Zusammenhänge zu sehen sind. Daraus kann ich für mich konstruktive Lösungsansätze ableiten und vor allem die Zuammenhänge von körperlicher, geistiger und emotionaler Fitness besser verstehen.
    Auch ich lese Ihre Beiträge richtig gerne, da spricht eine Sportlerin mit einem ganzheitlichen Leistungsverständnis.

    Herzliche Grüße
    Carola Kühn

    Antworten

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