Warum Führungskräfte besser den Ball der Bewältigung aufnehmen als ihn nach Abpfiff im Abseits liegen zu lassen
Was haben ein Topmanager und Fußballbundestrainer Joachim Löw gemeinsam? Beide geben die Richtung des Spiels vor sowie das passende Spiel-System bzw. die Ausrichtung des Unternehmens. Sie tragen dabei die Verantwortung für die Mitarbeiter, die in diesem System bzw. Unternehmen arbeiten, und dafür, wie sie zusammenarbeiten. Ob ihr Team Pässe in Torchancen oder Zusammenarbeit in Mehrwert fürs Unternehmen verwandelt – wer als Führungskraft erfolgreich sein will, muss dafür sorgen, dass das Team erfolgreich ist. Von meiner Arbeit mit Fußballtrainern weiß ich es ebenso wie von meiner Tätigkeit für Unternehmen: Leader müssen heute hohe Ansprüche an die eigene Emotionalität, Fachwissen, die Persönlichkeit, Sozialkompetenzen und Coachingqualitäten erfüllen. Um das Dilemma der deutschen Fußballnationalmannschaft zu beheben, sind nun sowohl die strategischen als auch die Coaching-Qualitäten von Joachim Löw gefragt. Denn die Leidenschaft und mentale Stärke seines Teams und jedes Einzelnen werden entscheidende Faktoren sein, um in dieser WM weiterzukommen.
Auf dem Rasen wie in Konferenzräumen gilt: Unter hohem Druck müssen blitzschnell richtige Entscheidungen getroffen werden und jeder, Trainer, Spieler wie Leader, muss bereit sein, sich ständig weiterzuentwickeln. Kurz: Die Anforderungen an die mentale Leistungsfähigkeit und Umgang mit Frustration und Stress ist gestiegen. Die Bewältigungsstrategien einer Niederlage im Spitzenfußball lässt sich dabei durchaus auf das Feld der Wirtschaft übertragen:
1. Schritt aus dem Abseits: Das Spiel aufarbeiten
Gemessen am Erfolg ist Joachim Löw im Auftaktspiel der WM-Vorrunde gescheitert – die Zusammenarbeit und Kommunikation seines Teams hakte, es fehlte an passenden Antworten auf das Spiel-System der Konkurrenz. Nach einem Misserfolg gehört es zu den Aufgaben eines Chefs, die Gründe des Scheiterns zu reflektieren, Missstände aufzudecken, Verbesserungen anzustoßen. So sagte Löw denn auch im Anschluss an das 0:1 gegen Mexiko: „Wir müssen die Lehren daraus ziehen und es im nächsten Spiel besser machen. (…) Jetzt sind alle erstmal geknickt und sehr, sehr enttäuscht. Ab morgen müssen wir den Blick nach vorne richten, das Spiel aufarbeiten. Wir haben genug Erfahrung, um mit Niederlagen umzugehen und werden wieder aufstehen. Aber das nächste Spiel müssen wir gewinnen.“ (sport.de). Klare Worte, klare Vorgabe. Das sieht auch das Team so, wie die Worte des Abwehrspielers Mats Hummels deutlich machen: „Wir müssen beide Spiele gewinnen, sonst war es das.“ (Huffington Post). Einigkeit über das Ziel herrscht also offensichtlich, doch als Führungskraft muss Löw nun sehr genau analysieren, warum es der Mannschaft so schwer fiel, eine gute Performance abzuliefern. Dabei hilft das Triple-A-Prinzip:
A wie Akzeptanz
Akzeptieren Sie, dass Ihre Performance und die Ihres Teams nicht optimal war. Es hilft nicht, aus einer erfolglosen Strategie ein „glückloses“ Spiel herbeizureden oder anderen die Schuld am Scheitern zuzuweisen. Nationalspieler Jérôme Boateng weiß: „Es geht nicht um Schuld, sondern darum die richtigen Schlüsse zu ziehen.“ (welt.de). Sobald Sie einen Fehler akzeptieren, nehmen Sie ihm seine negative Wirkungskraft. Andernfalls droht ein übermächtiger Schatten aus begangenen Fehler zu erwachsen. Resignation, Demotivation, Angst und Stress übernehmen dann das Ruder bei Ihnen und Ihrem Team. Das blockiert Sie, Ihr Team und führt voraussichtlich zu weiteren schlechten Leistungen – eine Abwärtsspirale.
A wie Analysieren
Nehmen Sie sich vor der Analyse genug Zeit, um negative Stressgefühle bei sich und Ihrem Team abzubauen, z.B. durch Bewegung, Musik hören, Gespräche mit Vertrauten usw. Sonst ist kein Kopf frei für eine klare Analyse. Diese sollte danach am besten schriftlich erfolgen und den Fokus nicht allein auf Schwächen und Defizite richten:
- Was waren Faktoren für den Misserfolg?
- Was lief gut?
- Was fehlte?
- Was kann ich/können wir daraus lernen (Learnings, Lernerfahrungen)?
- Was lässt sich besser machen und/oder verändern?
Bei der Nationalmannschaft gab es verschiedene Einflussfaktoren, die wie ein mentales Störfeuer auf die Spieler wirkten. Angefangen bei den Pfeifkonzerten der Fans in der Vorbereitung für die sehr umstrittene Begegnung der Spieler Özil und Gündogan mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan bis hin zum Wissen der alteingesessenen Spieler, dass sie bereits Weltmeister geworden sind. Letzteres tröstet vielleicht über Performanceeinbrüche hinweg, dämpft aber auch das innere Feuer der Spieler – und sorgt gleichzeitig aufgrund der öffentlichen Erwartungshaltung für zusätzlichen Druck beim Team.
A wie Abhaken
Ziehen Sie einen Schlussstrich unter das verlorene Spiel bzw. das Scheitern. Er lässt sich nicht rückgängig machen. Konzentrieren Sie sich stattdessen auf Ihr jetziges Handeln, die Vorbereitung der nächsten Herausforderung und das Training (Üben). Weiteres Grübeln und Hadern blockiert Sie nur unnötig dabei. Gerade wenn weitere Herausforderungen auf Sie oder Ihr Team warten, ist es enorm wichtig, erlittene Niederlagen schnell zu verarbeiten – das weiß jeder Sportler im Wettkampf. Eine gesunde Distanzierungsfähigkeit ist für Athleten die Voraussetzung für die nötige Regeneration und Vorbereitung auf ihren nächsten Einsatz. Das gilt auch im Job!
2. Schritt aus dem Abseits: Die Strategie anpassen
Joachim Löw sagte kurz nach der Niederlage seines Teams: „Wir werden deswegen nicht von unserem Weg abgehen, wir müssen unsere Stärke wiederfinden.“ (sport.de) Wie viel Festhalten im Fall der Nationalelf gut und wie viel Loslassen vielleicht besser ist, liegt nun im Ermessen ihrer Führungskraft. Manchmal braucht es eine deutliche Zäsur im Vorgehen, um auch mental das Ruder im Teamgeist umzulegen. Dann hilft es, Positionen umzubesetzen, Aufgaben klarer zu definieren, das Zusammenspiel der einzelnen Teammitglieder durch gemeinsame Aktionen außerhalb des Arbeitsumfelds zu fördern. Die Elf 2018 ist noch keine eingeschweißte Truppe, mehr als die Hälfte ihrer Mitglieder sind Neuzugänge. Hier treffen zwei Gruppen aufeinander: die Weltmeister und junge Talente, die es noch werden wollen. Damit das Team gut funktioniert, braucht es jedoch eine gemeinsame Augenhöhe – und einen von allen anerkannten Anführer auf dem Rasen, der in schwierigen Situationen Lösungsimpulse setzt. Beides ließ die Mannschaft im Auftaktspiel noch vermissen. Der ehemalige Nationalspieler Per Mertesacker sagt mit Rückblick auf den WM-Sieg 2014: „Man kann Brasilien und was wir im Campo Bahia erlebt haben, nicht kopieren. In Russland muss eine andere Story geschrieben werden.“ (OVB, 14.6.18). Als Führungskraft sind Sie der Drehbuchautor!
Löw will die Stärke des Teams wiederfinden. Dieser Fokus ist weitaus hilfreicher als allein die Defizite in den Vordergrund zu stellen. Arbeiten Sie als Führungskraft mit den vorhandenen Ressourcen Ihres Teams, stärken Sie die Stärken jedes einzelnen Teammitglieds, bauen Sie das Selbstvertrauen und den Selbstwert Ihrer Mitarbeiter auf. Sind Sie sich der Stärken des Einzelnen bewusst? Ist sich Ihr Mitarbeiter auch seiner Fähigkeiten, Talente und Stärken bewusst? Das Wissen um vorhandene Stärken stärkt das Selbstvertrauen. Es schenkt dem Team Sicherheit und Zuversicht.
Tipp: Bitten Sie jedes Teammitglied, eine Liste von mindestens 15 Eigenschaften, Stärken und Fähigkeiten anzufertigen, und eine Liste, was jeder an sich selbst schätzt bzw. für die es auch von anderen geschätzt wird. Damit wecken Sie nicht nur ein deutliches Bewusstsein für vorhandene Ressourcen, sondern auch positive Gefühle beim Einzelnen. Und diese sind besonders nach einer erlebten Niederlage nötig, um aufkommende Selbstzweifel und Ängste vor Scheitern und Versagen zu bewältigen.
3. Schritt aus dem Abseits: Das innere Feuer entfachen
Die Neuzugänge in der Nationalelf sind vermutlich hoch motiviert, ihre Kaderberechtigung unter Beweis zu stellen. Die Stammspieler hingegen spüren vor allem den Druck der Titelverteidigung und sind auf gewisse Weise saturiert, weil sie schon einmal „alles“ erreicht haben. Welch entscheidende Rolle das innere Feuer für die Arbeit eines Teams spielt, ließ die mexikanische Mannschaft beim Auftaktspiel klar erkennen. Ihr Trainer Juan Carlos Osorio brachte den Funken des Feuers auf den Punkt: „Heute haben wir aus der Liebe zum Sieg heraus agiert und nicht aus der Angst vor der Niederlage.“ (Hamburger Abendblatt). Dieses Credo könnte für die deutsche Nationalelf am kommenden Sonnabend von entscheidender Bedeutung sein – würde eine Niederlage doch das vorzeitige WM-Aus bedeuten.
Für den Erfolg muss es einer Führungskraft gelingen, die intrinsische Motivation des einzelnen Teammitglieds ebenso anzusprechen wie die Gesamtmotivation des Teams, seine Ausrichtung aufs gemeinsame Ziel. Der ehemalige Bundeshockeytrainer Bernd Peters verwendete während seiner Amtszeit als Zündfunken für dieses Feuer u.a. die Kraft des Bildes. Zur Vorbereitung der WM 2006 hatte er in den Besprechungsraum ein Poster mit dem jubelnden Europameister 2005, der spanischen Nationalmannschaft, gehängt, auf dem geschrieben stand: Wer soll jubeln am 17. September 2006? Jeder Spieler bekam dieses Poster zudem mit nach Hause. Peters erklärt: „Ich wollte sie mithilfe dieses provozierenden Symbols, mithilfe der Gefühle, die sich daraus entwickeln sollten, animieren, die Mannschaft und den Erfolg der kommenden WM in Deutschland im Kopf und im Herzen zu tragen“ (Peters, B. et al., Führungsspiel, 2012). Erzeugen Sie Bilder im Kopf Ihrer Mitarbeiter, die sie für ein gemeinsames Ziel motivieren. Liefern Sie ihnen dafür die passenden Schlagworte wie „Wenn uns der Vorstand auf die Schulter klopft“, „Quantensprung im Projekt XY, alle werden staunen“, „Wir führen den Bereich an“ etc. – das alles sind Ingredienzen für ein motivierendes Bild im Kopf Ihres Teams, das die Emotionen jedes Einzelnen anspricht und ihn lern- und leistungswillig macht. Denn Emotionen sind der Turbo auf dem Weg zur Höchstleistung. Gelingt es Ihnen, Ihre Mitarbeiter im Innersten zu berühren mit den an sie gestellten Aufgaben und den angestrebten Zielen, so werden Sie Leidenschaft, Hingabe und Engagement ernten. Vor Joachim Löw liegt in diesen Tagen eine große Aufgabe.
Verwendete Literatur:
Heimsoeth, A. (2018) Kopf gewinnt. Der Weg zu mentaler und emotionaler Führungsstärke, 2. Auflg., Springer Gabler, Wiesbaden, S. 37.
Weitere interessante Beiträge:
Was wir von Jogi Löw lernen können: https://antje-heimsoeth.com/was-wir-von-jogi-loew-lernen-koennen/
WELT am Samstag I 08. Juli 2017 (Print und online): Von Jogi lernen
Diese Ausbildungen und Seminare könnten Sie auch interessieren:
Ausbildung zum Mental Coach: https://www.heimsoeth-academy.com/mental/ausbildung-zum-mental-coach-basic/
Sport Mental Coach, ECA: https://www.heimsoeth-academy.com/mental/sport-mental-coach-ausbildung/
Seminar „Vom Spitzensport lernen“ (2 Tage): https://www.heimsoeth-academy.com/mental/vom-spitzensport-lernen/
0 Kommentare