FOMO: Die Last mit dem Leben der Anderen

FOMO: Die Last mit dem Leben der Anderen - Antje Heimsoeth

Autor

Antje Heimsoeth

Datum

23. Sep 2019

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Jede Minute werden 16 Millionen Textnachrichten verschickt und fast eine halbe Million Tweets abgesetzt. Hierzulande verwenden Handynutzer täglich allein 33 Minuten auf Facebook (Quelle: statista.com). Das Bedürfnis, mit der Welt und ihren Ereignissen ständig verknüpft zu sein, ist offensichtlich groß. Der installierte News Feed auf unseren Smartphones sorgt für permanentes Nachrichten-Grundrauschen, die sozialen Netzwerke locken zudem dank Statusupdates mit ständig neuen Einblicken ins Leben von Promis und Bekannten. Die digitale Vernetzung bindet unsere Aufmerksamkeit und schafft gleichzeitig das Bedürfnis, teilhaben zu wollen, sich selbst darzustellen und Anerkennung zu generieren. Manchmal geht mit diesen Bedürfnissen auch eine Angst einher. Nämlich die Angst, etwas zu verpassen. Der Zeitgeist hat dafür ein Akronym geschaffen: FOMO (fear of missing out). Damit ist die zwanghafte Sorge gemeint, „eine soziale Interaktion, eine ungewöhnliche Erfahrung oder ein anderes befriedigendes Ereignis zu verpassen und nicht mehr auf dem Laufenden zu bleiben“, so wikipedia. Die Angst, etwas zu verpassen, ist so alt wie unser Zusammenleben. Durch den Einfluss digitaler Medien und mobiler Kommunikationswege ist sie heute jedoch extrem verstärkt – und gilt mittlerweile als erste Social-Media-Krankheit.

FOMO: Verstimmungen, Nervosität, Konzentrationsschwierigkeiten – wenn die Vernetzung zur Last wird

Denn die Symptome dieser Angst haben weitreichende Auswirkungen: Die Stimmung wird trübe, weil andere Begegnungen und Erlebnisse hatten, ohne dass man selbst Teil davon war (Verlustangst). Gleichzeitig fürchtet man, die Erfahrungen der oder des anderen seien besser gewesen als der eigene Alltag (Angst vor Ablehnung). Die Nervosität wächst ob der Unwissenheit, was andere gerade tun, wenn sie nicht online sind (Angst vor Kontrollverlust). Ein fehlendes WLAN- oder Handy-Netz unterwegs sorgt bereits für das Gefühl, von der Welt abgeschnitten zu sein. Beim Treffen mit anderen oder auch bei Wartezeiten wird im Netz gesurft und gechattet statt sich dem realen Austausch mit dem Gegenüber oder einfach der Muße hinzugeben. Beim Arbeiten oder Lernen treten Konzentrationsprobleme auf, weil der Drang übermächtig ist, zwischendurch online zu gehen. Selbst Autofahrten sind nicht mehr frei von der mobilen Kommunikation. Der Smartphonegebrauch am Steuer gilt (laut Focus) mittlerweile als Unfallursache Nr. 1. Es spricht also einiges dafür, über das eigene Selbstmanagement im Umgang mit sozialen Medien nachzudenken – und ein paar Regeln zu beachten, die helfen, nicht zum Fomotiker zu werden:

FOMO: Bin ich schon Fomotiker oder einfach „nur interessiert“?

Manchmal fehlt uns selbst der kritische Abstand, um zu erkennen, wie sehr uns das Netz und seine Kommunikationskanäle bereits im Griff haben. Machen Sie doch einfach mal einen Test: Für einen Zeitraum von sechs Wochen löschen Sie einen Großteil Ihrer Apps auf dem Handy und reduzieren bewusst Ihre Aktivitäten auf Plattformen wie WhatsApp und Instragram. Installieren Sie dafür eine App, die Ihnen täglich zeigt, wie viel Zeit Sie tatsächlich am Handy verbracht haben (z.B. Quality Time). Sie dokumentiert unbestechlich die reale Zeit der Handynutzung und spiegelt Ihnen den tatsächlichen Konsum wider. Einhergehend mit der App-Diät beginnen Sie Ihren Tag nicht mit dem digitalen Nachrichtencheck, sondern zum Beispiel mit einer Yoga-Einheit. Beobachten Sie, wie es Ihnen damit im Verlauf der Zeit geht und welche Effekte der reduzierte Konsum auf Sie hat. Nach Ablauf der sechs Wochen können Sie neu und ganz bewusst entscheiden, wie Sie künftig Medien und Kanäle nutzen. Eines werden Sie gewiss gelernt haben: Die Angst, etwas zu verpassen, lässt mit zunehmendem Abstand nach.

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FOMO: Bye, bye Vergleiche, hello Authentizität!

Ob wir wollen oder nicht, beim Betrachten der Bilder, die andere in den sozialen Netzwerken posten, gleichen wir das fremde Leben gegen das eigene ab. Wo war er oder sie im Urlaub? Auf welchem Event war er oder sie eingeladen? War ich dort auch schon mal? Wäre ich dort auch gerne gewesen? Was habe ich stattdessen gemacht? Diese Vergleiche nagen am Selbstbewusstsein, wenn wir das Gefühl haben, nicht mithalten zu können. Neid überkommt uns, weil wir den oder die anderen größer machen als uns selbst. Wenn wir andere er- oder überhöhen, machen wir uns selbst gleichzeitig klein. Werden Sie sich in solchen Momenten besser der eigenen Einzigartigkeit bewusst: Was genau macht Sie aus? Worin liegen Ihre besonderen Stärken, Fähig- und Fertigkeiten? Was haben Sie bereits erreicht? Sind es nur äußere Errungenschaften wie Schmuck, Autos oder Klamotten, die Sie einzigartig machen oder fällt Ihnen noch mehr ein?

Übung: Schaffen Sie sich eine imaginäre Schatztruhe!

Schreiben Sie sämtliche persönlichen Schätze auf und finden Sie für jeden Begriff ein passendes Symbol. Legen Sie diese Schätze anschließend einzeln in eine Schatztruhe, die Sie sich vor Ihrem geistigen Auge vorstellen. Malen Sie sich diesen besonderen Platz möglichst genau aus – angereichert mit Gold und glitzernden Edelsteinen. Ihre Schatztruhe steht Ihnen von nun an immer zur Verfügung, wenn Sie an sich selbst zweifeln oder neidisch auf jemanden sind. Holen Sie sich geistig dann einen Gegenstand als Anker aus der Schatztruhe – zum Beispiel die Krone, die vielleicht für Ihre innere Größe und Würde steht.

Fokus statt Facebook & Co.

Ein bewusster, reduzierter Konsum sozialer Netzwerke hilft dabei, den Fokus aufs Wesentliche zu wahren und Ablenkung zu minimieren. Es ist eine Form der Entschleunigung, die uns mehr zu uns selbst bringt – und Kapazitäten freisetzt für das, was wir im Hier und Jetzt erledigen müssen. Der Golfprofi Martin Kaymer hat bei einer Pressekonferenz anlässlich der BMW International Open beschrieben, warum Social-Media-Diät für seine Performance wichtig ist: „Da wird einem ein Leben anderer Menschen nahe gebracht, das nicht wirklich der Realität entspricht – und man vergleicht sich teilweise damit, ob man möchte oder nicht. Das geschieht zum Teil unterbewusst, aber hat eine Auswirkung auf das eigene Leben. Man liest auch Meinungen von anderen Menschen über sich, die eigentlich keine Ahnung von deinem Leben haben. Das hat nicht wirklich viel Positives, deshalb versuche ich das zu reduzieren und an den Turniertagen ganz sein zu lassen.“ (Quelle: golftime.de). Kaymer hat damit gute Erfahrungen gemacht: Sein Schlaf sei tiefer, der Kopf freier. Und das lässt ihn sein vorhandenes Potenzial besser ausschöpfen. Auch abseits des Golfplatzes sind viele Menschen heute in ihrem Job beeinträchtigt von der permanenten Vernetzung. Es fällt ihnen schwerer, fokussiert zu sein und zu bleiben. Sie tun also Ihrer eigenen Performance einen großen Gefallen, wenn Sie sich mehr um Fokus und wert-voll verbrachte Lebenszeit als um Facebook, Twitter & Co. bemühen!

Die Quelle der Zufriedenheit liegt jenseits der sozialen Netzwerke

Studien haben gezeigt, dass Menschen, die mit ihrem Leben und der Erfüllung ihrer Bedürfnisse unzufrieden sind, häufiger von FOMO betroffen sind. Denn FOMO bedroht einige unserer Grundmotive. Es zählt zu den menschlichen Grundbedürfnissen, Teil einer Gemeinschaft zu sein und von dieser soziale Anerkennung zu bekommen. Dazu zählt auch das Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle. Je besser und aktiver wir vernetzt sind, desto mehr glauben wir, diese Motive bedienen zu können. Dort, wo Unzufriedenheit herrscht, scheint die Hoffnung umso größer, Befriedigung durchs Netz zu erlangen. Dabei ließe sich schon viel mehr Zufriedenheit aus dem Bewusstsein für glückliche Momente generieren. Wer in der Lage ist, schöne Momente mit anderen oder auch mit sich allein zu genießen, ohne sofort das Handy zu zücken, hat bereits eine wesentliche, täglich sprudelnde Quelle der Zufriedenheit für sich erschlossen. Gleichzeitig ist es ein Schritt hin zu mehr Selbstbestimmung und weniger Abhängigkeit. Klar, dass es bereits eine Gegenbewegung zu FOMO gibt. Das passende Akronym lautet JOMO (joy of missing out) und meint die Freude, die wir verspüren, wenn wir bewusst etwas verpassen, um uns selbst damit etwas Gutes zu tun, z.B. länger am See mit Freunden verweilen statt zum nächsten Event zu eilen oder einen langen Spaziergang in der Natur nach Feierabend zu machen statt mit Kollegen zum After-Work-Club zu gehen.

Obacht: Unser Geist ist genauso unstet und geschwätzig wie die sozialen Netzwerke

Unser Gehirn ist empfänglich für jegliche Reize. Denn unser Geist ist permanent aktiv, lässt sich gern ablenken und langweilt sich schnell. Kein Wunder, dass die schöne neue Social Media-Welt für uns ein schier endloses Mekka der willkommenen Ablenkung ist. Aus „eben nur mal kurz gucken“ wird ein unterschätzter Zeitfresser, der viel nimmt und unterm Strich bei genauerer Betrachtung nur wenig gibt. Ein geschulter Geist ist die Basis für ein gutes Selbstmanagement. Wohl dem also, der einen klaren Kopf bewahrt. Und diese Klarheit beginnt bereits bei den eigenen Zielen. Werden Sie sich über Ihre Ziele klar und darüber, was Sie zur Zielerreichung (Video) benötigen. Dokumentieren Sie das schriftlich. Je genauer Ihre Definition ist, desto maßgeschneiderter können Sie Ihre Strategie dazu formulieren. Und das bewahrt Sie davor, zu viel Zeit mit Social Media zu verschwenden – es sei denn, dies dient Ihren Zielen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen Fokus, Freude und den Mut, abzuschalten!

© Ihre Antje Heimsoeth

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4 Kommentare

  1. Danke! Da hab ich wieder dazu gelernt, den Begriff FOMO kannte ich noch nicht. Wir müssen uns noch vielmehr darüber bewusst sein, wie uns das alles beeinflusst.

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    • Super Artikel Antje!
      Mein eigener praktischer Ansatz dazu: ich musste weg von den Apps, also hab ich sie gelöscht. Für meine Kunden kann ich alles am Mac vorplanen und umsetzen.
      Das Smartphone nutze ich nur noch zum Fotografieren, und das selten. Ansonsten habe ich mir ein Tastenhandy zugelegt.

      Fazit: erstaunlich was man alles wieder erleben kann. Ich war wohl schon gefangen im FOMO Rad

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  2. Exzellenter Artikel! Ich denke in letzter Zeit immer mehr darüber nach meine Aktivitäten im FB zu reduzieren und ich finde mich in vielen Aspekten die im Artikel beschrieben wurden wieder. Da ich im Ausland lebe ist der Drang mit den Freunden über Social Media in Verbindung zu bleiben groß und gibt aber auch einen Einblick auf das was ich im Ausland vermisse. Der Artikel ist sehr klar geschrieben und inspiriert mich mein Social Media Verhalten nochmals bewusster zu gestalten! Vielen Dank!

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  3. Danke dir liebe Antje für diesen tollen Blog Artikel. Ich habe mal wieder was durch Dich mitenhemen können. Wünsche dir ein wunderbares Wochenende.

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