Angst – wenn das Denken in Schieflage gerät

Angst – wenn das Denken in Schieflage gerät - Antje Heimsoeth

Autor

Antje Heimsoeth

Datum

23. Mai 2018

Kategorien

Skifliegen ist nichts für Leute mit Höhenangst. Wer sich allein mit seinem Körper aus luftigen 200 Metern Richtung Boden begibt, darf die Höhe und den Wind nicht fürchten. Das Risiko hingegen schon ‒ Skispringer haben einen vierfach erhöhten Adrenalinspiegel, nachdem sie die Schanze heruntergesaust sind. Solche Werte haben Menschen in der Regel nur bei Todesangst. Dass ein Athlet beim Skifliegen vor dem Absprung Angst verspürt, ist nachvollziehbar. Umso beeindruckter sind wir Zuschauer von der Coolness, mit der die Skispringer es immer wieder wagen. Doch es gibt im Spitzensport andere Disziplinen, wo unerwartete Ängste herrschen, weil die zu meisternden Aufgaben weniger gefährlich sind. Oftmals gestehen wir den Sportlern hier Ängste weniger zu und die Sportler selbst gestehen sie nur ungern ein. Dabei geht es nicht um Todesangst, sondern um die Angst, Erwartungen nicht erfüllen zu können.

Diese heimliche Angst macht den Athleten das Leben mitunter sehr schwer und kann zu einer gravierenden Belastung werden. Als der ehemalige Fußballnationalspieler Per Mertesacker seine Versagensangst offenbarte, wurde vielen bewusst, wie sehr der Leistungs- und Erwartungsdruck an Spitzenathleten nagen kann. „Der Druck hat mich aufgefressen“, sagte Mertesacker. „Dieses ständige Horrorszenario, einen Fehler zu machen, aus dem dann ein Tor entsteht.“ (Quelle: Der Spiegel). Er habe die Belastung körperlich und mental gespürt. Brechreiz habe ihn stets vor dem Anpfiff heimgesucht, doch er verbarg seine Stresssymptome vor dem Umfeld und litt leise. Nach außen wirkte Mertesacker ruhig und souverän. Ein anstrengendes Schauspiel. Und eines, das nicht nur im Profifußball täglich stattfindet…

Was macht Angst mit uns?

Die Angst zu Versagen ist in vielen Bereichen, auch außerhalb des Sports, zu Hause. In unserer leistungsorientierten Gesellschaft wollen wir zu den Gewinnern gehören, nicht zu den Versagern. Schwächen gelten gemeinhin als Makel. Wer offen Angst hat, gilt als labil, nicht belastbar, hilfebedürftig. Wer lässt sich solche Plaketten freiwillig anheften? Doch auch wenn wir versuchen, unsere Angst zu verbergen, hat sie uns dennoch fest im Griff. Angst ist eine erweiterte Stressreaktion. Sie verändert die Wahrnehmung. Im Moment der Angst reflektieren wir die Ungewissheit. Auslöser sind Zweifel, z. B. ob die eigenen Fähigkeiten ausreichen, um unser Ziel zu erreichen oder ob drohende Gefahren oder Konsequenzen beim Versagen zu groß sind. Das Ungleichgewicht in unserer Wahrnehmung der Situation, unsere Interpretation also, ruft Angst hervor.

Wir reagieren emotional auf unsere Überlegungen, z. B. mit Unruhe, Anspannung oder Unwohlsein. Neben den körperlichen Beschwerden stellt Angst eine erhebliche mentale Belastung dar. Unser Selbstvertrauen sinkt, unsere Wahrnehmung ist verzerrt, rationales Denken fällt schwer. Das beeinträchtigt unser Leistungsvermögen. Unsere Angst wird zur Blockade, wenn sie ein zu hohes Ausmaß annimmt. Nämlich dann, wenn ein wesentlicher Teil der geistigen Kapazität auf die Sorge um die zu erbringende Leistung verwendet wird. Die Angst steht dann oft zu der eigentlichen Situation in keinem Verhältnis mehr. Wir versuchen, die Angst auslösende Situation möglichst zu vermeiden und stellen uns in unserem Kopfkino die schlimmsten Horrorszenarien vor. Kurz: Sie beherrscht unser Denken und Verhalten.

Was hilft gegen Angst?

Angst entsteht im Kopf. Mentales Training kann helfen, besser mit ihr umzugehen. Ängste haben ihr eigenes Gedächtnis. Dieses lässt sich nur selten durch kluge Worte löschen. Es braucht neue emotionale Erfahrungen, die eine „Neuverdrahtung“ der Gehirnzellen bewirken, um unser Vertrauen und unseren Mut wieder aufzubauen. Belastende und angstbesetzte Situationen lassen sich am besten bewältigen, wenn es uns gelingt, ihnen auf mehreren Ebenen, physiologisch wie psychisch, emotional wie kognitiv bewusst zu begegnen:

Erste-Hilfe-Maßnahmen:

Klopfen Sie sich frei von der Angst!

Folgende Übung stammt aus der Kinesiologie. Sie verbessert den Energiefluss im Körper und hilft bei akutem Stress. Sie sorgt für Ausgeglichenheit und hilft aus der Angst heraus. In der Kinesiologie gilt die Thymusdrüse als Steuerungszentrale für den Energiefluss in den Meridianen und als Bindeglied zwischen Geist und Körper:

  • Klopfen Sie etwa eine Minute lang mit den Fingerspitzen oder mit der Faust (sanft) auf die Thymusdrüse.
  • Nehmen Sie zusätzlich Ihre Zungenspitze beim Einatmen hinter die Zähne an den Gaumen.
  • Sagen Sie sich dabei folgenden Satz:  „Ich liebe, glaube, vertraue, bin dankbar und mutig.“
  • Klopfen Sie solange, bis Sie durchatmen müssen.

Erst heute rief mich ein Musiker an, dass er es sofort umgesetzt hat und beim und vor dem letzten Konzert dadurch ruhiger war. In Verbindung mit einem besseren Zeitmanagement als früher.

Lassen Sie die Angst mit dem Atem davonströmen!

Wenn wir Angst haben, atmen wir flach und schnell. Tiefes Ein- und Ausatmen hilft, um sich aus der Umklammerung der Angst zu befreien. Ein paar Minuten Entspannungsatmen können bereits helfen, um sich in einen ruhigeren Zustand zu bringen:

  • Schließen Sie Ihre Augen. Atmen Sie durch die Nase ein und durch den leicht geöffneten Mund wieder aus.
  • Legen Sie beim Einatmen die Zungenspitze hinter die oberen Zähne an den Gaumen, beim Ausatmen lassen Sie sie locker fallen.
  • Lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit auf den Atem: Zählen Sie die Anzahl der Atemzüge mit. Verlängern Sie das Ausatmen, so dass es doppelt so lange dauert wie das Einatmen.
  • Stellen Sie sich beim Ausatmen vor, wie alles Belastende, Angst machende davonströmt.
  • Wenn Sie mögen, können Sie das Ausatmen mit dem Satz „Ich lasse los“ begleiten.
  • Alternative: Denken Sie während des bewussten Atmens an ein Ruhebild oder an einen Schönen Ort.

Schreiben Sie ein neues Programm für den Geist:

Bestandsaufnahme machen und lernen, die Angst zu kontrollieren

Welche Situationen verursachen Angst? Wie macht sich Ihre Angst bemerkbar? Wie intensiv empfinden Sie die Angst? Welche körperlichen Symptome treten auf? Wie verhalten Sie sich, wenn Sie Angst spüren? Was folgt danach? Beschreiben Sie die Gedanken, die Ihre Angst begleiten.
Erkennen Sie angstinduzierende Symptome möglichst frühzeitig und steuern Sie ihnen aktiv entgegen. Nutzen Sie dafür das A-B-E-R-Raster:

  • A wie Ausgangssituation: Womit beginnt Ihre Angstreaktion?
  • B wie Bewertung: Schreiben Sie alle Gedanken zur Situation nieder.
  • E wie Emotionen: Wie fühlen Sie sich dann?
  • R wie Reaktion: Wie handeln Sie?

Reflektieren Sie mehrere Situationen aus Ihrem Leben: schwierige, angstbesetzte ebenso wie neutrale und angenehme erlebte. Dann bringen Sie die Reaktion in das A-B-E-R-Raster. Danach finden Sie für jede Situation auch noch zwei andere Bewertungen. Machen Sie für jede angstbesetzte Situation ein alternatives positives Gedankenkonzept und entwickeln Sie ein neues Verhalten. Ziel ist es, mehr Handlungskontrolle über die Situation zu gewinnen. Dabei unterstützt Sie die steigende Zuversicht, die Sie aus den neuen Betrachtungs- und Verhaltensweisen schöpfen können.

Wichtig: Vermeiden Sie bei Ihren Formulierungen Wörter wie „nicht“, „kein“, „aber“, „versuchen“ oder „man“ ebenso wie Generalisierungen, z.B. „immer“, „nie“, „dauernd“ o. Ä. Konkrete Formulierungen, aktiv und positiv formuliert, helfen Ihrem Unterbewusstsein, die Direktiven besser umsetzen zu können. Befassen Sie sich regelmäßig mit Ihren alternativen Strategien und Konzepten, damit sie in jenen Momenten, wo Sie sie benötigen, abrufbar sind.

Beim Umdenken gilt es, geduldig und beharrlich zu sein – die Neuverdrahtung Ihrer Gehirnzellen geschieht nicht über Nacht. Eines jedoch sollte Ihnen schon jetzt klar sein: Angst und übersteigerte Reaktionen auf Stress haben nichts mit persönlichem Versagen zu tun! Machen Sie sich nicht noch zusätzlich fertig, weil Sie Angst verspüren. Akzeptanz ist der erste Schritt raus aus der Angstfalle, der zweite ist ein bewusstes Selbstmanagement. Ich wünsche Ihnen gutes Gelingen dabei!

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© Ihre Antje Heimsoeth
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2 Kommentare

  1. Liebe Antje,
    dir ist es wieder gelungen einen wertvollen Blogartikel zu schreiben, aus dem ich für mich oder in meiner Tätigkeit als Trainer und Coach, so einiges anwenden bzw. umsetzen kann. Besonders gefallen hat mir das ABER-Raster, dass ich noch nicht kannte. Danke und meine Bewunderung vor so viel Kreativität, Wissen und Erfahrung, an dich.

    Antworten
  2. Liebe Antje
    Ich danke dir für diesen wertvollen Blogbeitrag.Da ich selbst so mache Ängste habe setzte ich sofort deine Übungen um.
    Ich kann sagen ich fühlte mich sofort sicher und gut.Ich bedanke mich herzlich für diesen Beitrag zur richtigen Zeit.
    Liebe Grüße Bernhard Schiemer

    Antworten

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